An einer Tagung im März 2016 wurden der Trägerschaft die wichtigsten Entwicklungstrends der Region in den mehr als dreissig Jahren des Bestehens der Wirtschaftsstudie Nordwestschweiz aufgezeigt.
Die Bevölkerung der Nordwestschweiz ist seit 1980 nur um 14 % gewachsen, in der Schweiz insgesamt dagegen um 30 %, und die Zahl der Erwerbstätigen hat noch weniger stark zugenommen. Die Grenzlage der Nordwestschweiz ist massgeblich für deren geringeres Bevölkerungswachstum verantwortlich. Ein grosser Teil der zusätzlich in der Region Beschäftigten stammt aus der EU und ist angesichts des tieferen Kostenniveaus auch dort wohnhaft geblieben. Die Zahl der Grenzgänger hat daher in diesem Zeitraum um 150 % zugenommen.
Seit 1995 ist die Zahl der Arbeitsplätze (gemessen in 100%-Stellen oder FTE) in der Schweiz um 12 % gestiegen, in der NWCH hingegen nur um 4.5 %. Von den seit 1980 zusätzlich geschaffenen 33'500 FTE ist beinahe die Hälfte bei der Öffentlichen Hand (inkl. öffentliches Gesundheits- und Bildungswesen) entstanden. Der Zunahme der Beschäftigung steht zudem ein nur halb so grosser Zuwachs des geleisteten Arbeitsvolumens gegenüber. Die Sockelarbeitslosigkeit hat sich von 0.5 % im Jahre 1980 auf derzeit rund 2.5% erhöht. Das regionale Arbeitskräftepotential wird offenbar nur unzureichend ausgeschöpft.
Der (im Vergleich zu den umliegenden Staaten) noch relativ flexible Arbeitsmarkt ist einer der wichtigsten Standortfaktoren. Diese Flexibilität ist allerdings in den vergangenen dreissig Jahren durch zunehmende Reglementierungen reduziert worden. Auch die flankierenden Massnahmen sind zumindest teilweise zu einem Instrument umfunktioniert worden, welches weit über den Schutz des Gewerbes vor ausländischer Konkurrenz hinausgeht, und mit welchem flächendeckend gewerkschaftliche Anliegen umgesetzt werden.
Der Fachkräftemangel ist nach wie vor deutlich spürbar, und es wird immer schwieriger, gute Leute in die Region zu holen, vor allem an Standorten ausserhalb der Agglomeration.
Seit 1980 ist die Wirtschaftsleistung der Region dank der Exportwirtschaft stärker gestiegen als jene der Schweiz insgesamt. Pro Kopf der Bevölkerung liegt sie aktuell rund 20 % über dem schweizerischen Durchschnitt. Die Arbeitsproduktivität hat seit 1980 um 170 % zugenommen, in der Privatwirtschaft um 190 %, in der Öffentlichen Hand dagegen nur um 80%. Das starke Personalwachstum der Öffentlichen Hand könnte sich dämpfend auf die Wirtschaftsentwicklung ausgewirkt haben.
Der Industrieanteil am Arbeitsmarkt ist in den vergangenen dreissig Jahren von 32 % auf 20 % gesunken. Die Aufhebung der Euro-Untergrenze im Januar 2015 akzentuiert die Deindustrialisierung noch weiter. 1980 hatte die Region sechs industrielle Schlüsselbranchen und drei Schlüsselbranchen aus dem Dienstleistungssektor, bis 2015 drehte sich das Verhältnis zugunsten des Dienstleistungssektors um.
Die Pharmaindustrie erarbeitet mit 10 % der Beschäftigten 22 % der gesamten regionalen Wertschöpfung (1980: Chemie/Pharma mit 13 % der Beschäftigten 20 % der regionalen Wertschöpfung). Die Prosperität der Nordwestschweiz steht und fällt mit der Entwicklung dieser Leitbranche. Deren Prosperität wiederum hängt massgeblich von Forschungserfolgen, der weltweiten Gesundheitspolitik und internationalen Regulierungen ab. Die regionale Wirtschaftspolitik ist weiterhin darauf auszurichten, dass sich die Pharma an diesem Standort bestmöglich entwickeln kann. Die Aufrechterhaltung der Personenfreizügigkeit und der Zugang zu qualifizierten Mitarbeitenden aus aller Welt bleibt für den Standort Nordwestschweiz dabei absolut zentral.
Der Umbau der Wirtschaft erfolgte in den vergangenen dreissig Jahren fast ausschliesslich aus ihr selbst. Weder Ansiedlungen, noch Spin-offs aus den Hochschulen haben einen nennenswerten Anteil an der regionalen Wirtschaft erreicht. Die grössten Unternehmungen der Region waren 1980 und 2015 dieselben (rsp. deren jeweilige Rechtsnachfolger). Versuche neue Cluster zu bilden sind – wie in anderen Regionen auch – weitgehend erfolglos geblieben. Die Region kann und soll aber keine Industriepolitik betreiben. Viel wichtiger ist es, die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft zu erhalten und den Umbau der Wirtschaft nicht zu behindern, d.h. auf den vorhandenen Stärken aufzubauen und diese zu steigern.
Zur Verbesserung der Chancen von Ansiedlungen ist die Verbesserung der Infrastruktur zentral (Strassenverbindungen entlang der Hauptachsen, erschlossene Flächen für Ansiedlungen an attraktiver Lage, Ausbau Breitband auf 5G). Aber auch die „Internationalisierung“ der Region ist verbesserungsfähig. Weder wird das Potential der Expats und ihrer Angehörigen genügend genutzt, noch besteht flächendeckend eine eigentliche Willkommenskultur (Verwaltung, Schule, Medien, Bevölkerung).
Die alternde und relativ reiche Gesellschaft hat eine immer grössere Risikoaversion und ein entsprechend steigendes Sicherheitsbedürfnis sowie eine immer geringere Fehlertoleranz zur Folge. Diese Risikoscheu, der zunehmende Individualismus und die laufend ausgebauten Einsprachemöglichkeiten für Partikularinteressen behindern die wirtschaftlich notwendigen Veränderungen und Innovationen. Die Reduktion der Selbstverantwortung der Bevölkerung und der Ausbau der staatlichen Regulierungen (v.a. auf der Ebene Bund) haben für die Wirtschaft auch deutlich höhere Produktionskosten und weniger Flexibilität zur Folge.
Die Attraktivität der Region als Wirtschaftsstandort droht insgesamt geringer zu werden. Der Abbau von Regulierungen und von Einschränkungen der Wirtschaftsfreiheit ist unabdingbar, wenn das aktuelle Wohlstandsniveau der Region erhalten bleiben soll. Mögliche Wege dazu haben sich in anderen Ländern bereits bewährt (z.B. für jedes neue Gesetz ein bestehendes aufheben, neue Gesetze mit automatischem Verfalldatum). Gerade bei internationalen Abkommen könnten „opting-out“-Vorbehalte auch dazu genutzt werden, auf den Binnenmarkt ausgerichtete KMU von diesen Regulierungen auszunehmen.
Weitere Auskünfte:
Wirtschaftsstudie Nordwestschweiz
Dr. Rainer Füeg, Projektleiter Wirtschaftsstudie Nordwestschweiz
Email: r.fueeg@borisat.ch
(nur per Email erreichbar aufgrund von Abwesenheit)
Dr. Beat Oberlin, Präsident Wirtschaftsstudie Nordwestschweiz
Präsident der Geschäftsleitung der Basellandschaftlichen Kantonalbank
Email: medien@blkb.ch
Tel. 061 925 95 55
Christoph Buser, Vorstandsmitglied Wirtschaftsstudie Nordwestschweiz
Direktor der Wirtschaftskammer Baselland
Email: c.buser@kmu.org
Mobile: 076 324 98 33