Wer bisher der Ansicht war, dass der Landkanton in Sachen Verkehr mehr Augenmass walten lässt als die ideologisch geprägte baselstädtische Verkehrspolitik, muss seine Haltung wohl revidieren. Das zeigt sich beim genauen Lesen der Interpellationsbeantwortung «Schadstoffemissionen an nicht überholbaren Haltestellen“. Diesen Vorstoss hatte FDP-Landrat Stefan Degen vergangenes Jahr eingereicht – Ende Januar nun liess sich die Baselbieter Regierung dazu verlauten.
Die Bau- und Umweltschutzdirektion (BUD) mit Regierungsrat Isaac Reber (Grüne) führte im Rahmen eines Pilotprojektes «Nicht überholbare Haltestellen» ein. Die Versuche liefen in den Gemeinden Pratteln und Oberwil. Wenn also ein Bus bei einer Haltestelle stoppt, muss der Verkehr hinter ihm ebenfalls anhalten. Überholen verboten. Was auf der einen Seite die Chauffeure und die Passagiere freuen mag, habe durch das längere Warten der Autos Auswirkungen auf die Abgase, die sie ausstossen, schreibt Stefan Degen in seinem Vorstoss.
Angriff auf MIV
Ohne genau die Quelle zu erläutern, geht die BUD davon aus, dass der Motorisierte Individualverkehr (MIV) – sprich vor allem das Auto mit Verbrennungsmotor – Ursache Nummer eins für die Stausituation im Landkanton ist. Faktoren wie Bevölkerungszuwachs (Stichwort «10-Millionen-Schweiz»), Verkehrsinfrastruktur aus den 70er-Jahren, komplizierte ÖV-Anbindung, Grenzgänger und vollgestopfte Züge oder Trams zu Stosszeiten finden keine Erwähnung.
Dass es die BUD vor allem auf den MIV abgesehen hat, zeigt auch ihr Verweis auf die «Teilrevision des Gesetzes über die Motorfahrzeugsteuer – verstärkte Ökologisierung». Denn in der Interpellationsbeantwortung des Vorstosses von Stefan Degen steht: «Das Umsteigen auf emissionsarme Fahrzeuge kann mit finanziellen Anreizen beschleunigt werden oder indem die kantonale Motorfahrzeugsteuer verstärkt ökologisiert werde.» Dies will der Regierungsrat unter anderem mit der aus seiner Sicht notwendigen «Förderung von elektrisch betriebenen Fahrzeugen» erreichen. Grund: 2021 sei die Exekutive im Zuge der Verordnungsrevision zum Schluss gekommen, «dass die aktuellen Bestimmungen hinsichtlich der Förderung von energieeffizienten und emissionsarmen Fahrzeugen nicht mehr zeitgemäss sind».
Nach einem sogenannten Bonus-Malus-System sollen deshalb neben Autos auch Lieferwagen und Motorräder mehr bezahlen – ein Entscheid, der auch die vielen KMU im Kanton trifft. Um die per se schwereren E-Autos zu begünstigen, erhalten sie eine Gewichtsreduktion von 10 Prozent, und Lieferwagen, sie werden ebenfalls nach Gesamtgewicht besteuert, erhalten einen 20-Prozent-Abschlag auf ihr Gewicht. Für Lieferwagen, die ausschliesslich elektrisch oder mit Wasserstoff betrieben sind, ist eine Steuerermässigung von 450 Franken vorgesehen. «Durch die erhöhten Steuerermässigungen und die Gewichtsreduktion erhält ein Personenwagen mit Elektroantrieb mit einem Gesamtgewicht von 2200 Kilogramm eine Reduktion von gut 80 Prozent auf die jährliche Motorfahrzeugsteuer, und dies vier Jahre lang», schreibt der Kanton in der entsprechenden Gesetzesrevision.
Busstau ohne Emissionen
Durch diese Massnahmen will der Kanton den E-Verkehr fördern, den Stau auf den Strassen bekämpfen und den Umstieg auf den ÖV wie etwa Busse beschleunigen. Die Regierung teilt zwar die Ansicht, dass die Busse vermehrt Stau hinter sich verursachen, dennoch verteidigt sie die nicht überholbaren Haltestellen. Die Behörden machen grundsätzlich eine Verkehrsverflüssigung aus, «weil die Fahrzeuge nur einmal hinter dem Bus halten». Danach würden sie ohne zusätzliche Stop-and-Gos bis ans neue Stauende weiterfahren können. Eine Erhebung habe gezeigt, dass in der Abendspitzenstunde sowohl in Oberwil wie auch in Pratteln stockender Verkehr herrscht, schreibt die Regierung. Insgesamt würden nicht überholbare Haltestellen zu keiner massgeblichen Veränderung beim Ausstoss von Schadstoffen führen. Ein Grund dafür sei auch, dass viele Autos heutzutage mit einer Start-Stopp-Automatik ausgestattet seien.
Anreiz zum Umstieg
Da für die Kantonsbehörden der Verkehr der grösste Verursacher von Treibhausgasemissionen ist – wobei sich hier die Frage stellt, ob die Nationalstrassen miteinberechnet wurden, also ein Faktor, auf den der Kanton gar keinen Einfluss hat –, sieht die BUD «grosses Potenzial zur Reduktion». Erreicht werden soll dies einerseits durch den Angriff auf den MIV, andererseits durch einen Anreiz zum Umstieg auf den ÖV.
Insofern folgt es einer gewissen Logik, wenn der Regierungsrat nicht ausschliessen mag, dass weitere nicht überholbare Haltestellen folgen werden. Er verweist auf die bereits heute mehreren Haltestellen auf Kantonsstrassen, an denen der Bus nicht überholt werden kann. Als Beispiele führt er auf: Binningen Hohle Gasse, Bretzwil Dorf, Brislach Oberdorf, Frenkendorf Bächliacker, Gelterkinden Rohrbachweg, Lausen Mülizelg sowie Lausen Ronda, Liestal Altersheim, Liestal Stadion, Reigoldswil Bündten, Therwil Jurastrasse und Therwil Mooswasen. Das Autofahren mit Verbrennungsmotor und von SUVs soll, wie in Basel-Stadt, auch im Landkanton möglichst unattraktiv werden.
Christine Frey, FDP-Landrätin: «Nicht überholbare Bushaltestellen, die mit Mittelinseln künstlich generiert werden, sind reine Schikanen für Autofahrer. Zuerst wurde diese Massnahme damit gerechtfertigt, es verbessere sich die Fahrplanstabilität für Busfahrten. Nun muss der Klimawandel herhalten. Fakt ist: Die Regierung will mit gezielten Massnahmen den Autofahrern das Leben schwer machen mit dem Ziel, dass diese auf den ÖV umsteigen. Wo bleibt der Grundsatz, dass ÖV und MIV nicht gegeneinander ausgespielt werden?»
Stefan Degen, FDP-Landrat: «Der Regierungsrat agiert rein ideologisch. Bei Fragen zu Stau argumentiert er regelmässig, dass das bloss an 5 Tagen 1–2 Stunden zu Stosszeiten so wäre, nun soll der Bus den dauernden Stau heilen. Für verkehrsentlastende Massnahmen wie eine Tangentialspur bei stark befahrenen Kreiseln benötigt der Kanton Jahre zur Prüfung, der Abbau von Haltebuchten kann in wenigen Monaten umgesetzt werden. Es stellt sich die Frage, ob Regierungsrat Reber seine Mitarbeitenden einbezieht oder ob er bloss ideologische Antworten gibt.»
Aus dem aktuellen Standpunkt der Wirtschaft.