Wenn zurzeit die Schweizer Delegation in Brüssel über die neuen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verhandelt, steht für die Baselbieter KMU-Wirtschaft viel auf dem Spiel. Die Nordwestschweiz ist mit Blick auf die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung die mit Abstand am meisten exponierte Region der Schweiz. Auf unseren Brief, in dem wir einen eindringlichen Appell zum Schutz des Arbeitsmarkts an den zuständigen Bundesrat Guy Parmelin gerichtet hatten, reagierte der Wirtschaftsminister ausweichend und unverbindlich. In netten Worten schrieb er, dass man versuche, das Möglichste zu tun. Doch das reicht nicht: Bei den Verhandlungen mit der EU geht es um knallharte wirtschaftliche Interessen. Und um nichts anderes. Die KMU im Baselbiet müssen sich auf den Bundesrat verlassen können und sicher sein, dass er alles daransetzt, auch in Zukunft für gleich lange Spiesse zu sorgen. Zustände wie nach der Einführung der Bilateralen I Anfang der 2000er Jahre, wo in der Nordwestschweiz kurz darauf Lohn- und Preisdumping mächtig ins Kraut schossen, dürfen nicht wiederkommen. Die Wirtschaftskammer sagt nicht grundsätzlich Nein zu Verbesserungen am heutigen „Kontrollsetting“ und anerkennt insbesondere den grossen Nutzen eines Rahmenabkommens. Aber es ist nicht jeden Preis wert. Abstriche beim heutigen Schutzniveau des Schweizer Binnenmarkts wären für zahllose KMU existenzgefährdend und deshalb nicht tolerierbar.
Die Interessen der Wirtschaft sind nicht in allen Bereichen deckungsgleich. Das zeigt sich aktuell daran, wie die Interessenvertreter der grossen Handels- und Industrieunternehmen die Kontrollmechanismen als übertrieben darstellen – sie seien nur dem Eigennutz der Gewerkschaften geschuldet. Diese Erzählweise greift definitiv zu kurz und zeugt von wenig Praxiswissen. Die Forderung nach griffigen Massnahmen wie etwa einer Kautionslösung stammt gleichermaßen von Unternehmerseite. Denn die Erfahrung hat gezeigt, wie eine lasche Kontroll- und Sanktionspraxis bei Verstössen gegen das Arbeitsgesetz umgehend zu kriminellen Machenschaften führt, die letztlich rechtschaffene Unternehmen aus dem Markt drängen. Auf ein rigoroses Einhalten von GAV-Bestimmungen muss deshalb gepocht werden. Aus KMU-Sicht ist dieser Punkt schlichtweg nicht verhandelbar.
Aus meiner Sicht sind Optimierungen bei der Umsetzung der flankierenden Massnahmen möglich. Dringend notwendig wäre dafür aber die Digitalisierung der Behördentätigkeit. Will man beispielsweise die Anmeldefrist für ausländische Unternehmen von acht auf vier Tage senken, so geht das nicht mit der Übermittlung per Faxgerät. Die Coronazahlen lassen grüssen. An unsere Verhandlungsdelegation habe ich eine klare Botschaft: Einfach nur die Probleme wegreden zu wollen, ist aus KMU-Sicht keine Lösung. Vielmehr sollten die bereits gemachten Erfahrungen ins Feld geführt werden. Es kann nicht im Interesse der EU sein, Schwarzarbeit, Dumpingpreise und eine Billiglohnkultur herbeizuführen. Unterstützung könnte es dabei aus Deutschland geben. Denn dort bereiten Billigarbeitskräfte aus Osteuropa den regional ansässigen Betrieben ebenfalls Probleme.