Geplante Verlegung der Kantonsstrasse ist ein Projekt mit vielen Mängeln

Geplante Verlegung der Kantonsstrasse ist ein Projekt mit vielen Mängeln

Um den historischen Dorfkern von Münchenstein vom Autoverkehr zu entlasten, plant die Bau- und Umweltschutzdirektion von Regierungsrat Isaac Reber (Grüne) den Ausbau der Talstrasse zur Kantonsstrasse. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis dabei stimmt nicht.

Heute führt die Kantonsstrasse durch das historische Dorfzentrum von Münchenstein und tangiert das Siedlungsgebiet von Arlesheim. Dies will die Baselbieter Bau- und Umweltschutzdirektion (BUD) ändern und eine «deutliche Verkehrsentlastung» herbeiführen. Im Vorprojekt «Ausbau Talstrasse Nord als Kantonsstrasse», das sich zurzeit im Mitwirkungsverfahren befindet, stellt der Kanton eine neue Routenführung vor, die ins Gewerbe- und Industriegebiet der zwei Gemeinden verlegt wird (siehe Grafik rechts). Mit dieser Kantonsstrassenverlegung will das BUD Münchenstein vom Durchgangsverkehr entlasten und die Gewerbe- und Industriezone besser anbinden, die für KMU von grosser Wichtigkeit als Standort ist, wie es im Projektbeschrieb heisst. Zudem soll eine «neue Velovorzugsroute» entstehen. Allein die Veloroute würde 3,5 Mio. Franken kosten. Insgesamt kalkuliert der Kanton mit rund 40 Mio. Franken.

 

Das KMU-Forum Baselland begrüsst die geplante Verkehrsführung durch das Gewerbegebiet in Verbindung mit einer leistungsfähigeren Strasse. Auch die geplante bessere Anbindung an die Autobahn A18 betrachtet das KMU-Forum «als wichtigen Schritt zur Steigerung der Standortqualität». Als kritisch indes wird die Tatsache beurteilt, dass die Wirtschaftsinteressen in der Gewerbezone keine angemessene Berücksichtigung finden, wie die Wirtschaftskammer Baselland (Wika) in einer Stellungnahme festhält.

 

Die Wika erachtet die Berechnung zur Verkehrsentlastung als viel zu optimistisch und errechnet lediglich eine Reduktion des Durchgangsverkehrs von 3000 bis 4000 Fahrzeugen täglich, was einer Entlastung von 40 Prozent gleichkommt. «Weiterhin fahren rund 60 Prozent des Verkehrs nach wie vor durch den Dorfkern», schreibt die Wika. Sie kommt zum Schluss: «40 Mio. Franken für eine eher geringe Entlastung sind angesichts der aktuellen prekären Finanzlage des Kantons nicht gerechtfertigt.» Zwar habe man grundsätzlich nichts gegen das Vorhaben und unterstütze die Zielsetzung, staugeplagte Gemeinden zu entlasten, aber das Kosten-Nutzen-Verhältnis sei bei diesem Projekt problematisch, so die Wika.

 

Die positiven Auswirkungen dieser Projektvorlage werden als zu positiv dargestellt. Auch wenn die Wika die Haltung teilt, dass «die Übergänge von Schnell- zu Kantons- und Quartierstrassen im Kanton Basel-Landschaft grundsätzlich verbessert werden müssen, um Engpässe zu beseitigen und die Staubildung zu reduzieren», so sei sie doch der Ansicht, dass dieses Vorhaben an anderer Stelle im Kanton oder mit einem anderen Projekt besser und mit mehr Wirkung für das gleiche Geld erzielt werden könnte.

 

Auf Kritik stösst vor allem die neue, geplante Velovorzugsroute respektive die baulichen Massnahmen für den Langsamverkehr. Einerseits treibt diese Geschwindigkeits-E-Bike-Piste die Kosten nach oben, andererseits macht sie die projektierte Talstrasse übermässig breit. Grund: Neben dem Fahrstreifen für Autos und Transportfahrzeuge sowie einem Trottoir haben die Planer noch 4 Meter Raum einberechnet, der für die Veloroute sowie zusätzliche bauliche Abtrennungen zum Industrie-Bahngleis vorgesehen ist.

 

Für die Wika ist nicht nachvollziehbar, wieso eine zusätzliche Velovorzugsroute im Strassenprojekt enthalten sein muss. Denn bereits führen vier Velostrecken durch das Gebiet Münchenstein, und die engen Platzverhältnisse in diesem Gewerbegebiet würden eine so breit ausgebaute Strasse einfach nicht zulassen.

 

KMU-Enteignung steht im Raum

 

Von der neuen Fahrradstrecke wäre die Stamm Bau AG in Arlesheim direkt betroffen. «Das Vorhaben ‹Velovorzugsroute› ist der Grund, warum Enteignungs- und Rückbaupläne im Raum stehen, von denen wir betroffen wären», sagt Stamm-CEO Oscar Elias auf Anfrage. Das Unternehmen ist mit seinen rund 400 Mitarbeitenden, über 120 Nutzfahrzeugen und mit Büroräumen sowie Produktions- und Lagerhallen auf minimalem Raum auf Verkehrsflächen, Parkplätze und Zufahrtsmöglichkeiten zu ihrem Areal angewiesen. «Dieser neue Wunsch nach einer fünften Velovorzugsroute in einem 800 Meter breiten Ost-West-Korridor würde erhebliche, zusätzliche Planungs- und Baukosten und vor allem eine langwierige und kostspielige Enteignung provozieren», erklärt Elias. «Diese wäre verbunden mit Rückbauplänen eines bestehenden Gebäudes, Wegfall von mehreren, dringend benötigten Parkflächen sowie der Beschränkung von Ein- und Ausfahrtsmöglichkeiten, was in unserem Betrieb zu erheblichen technischen und logistischen Schwierigkeiten führen würde.» Man habe das Gelände erworben, nachdem der Kanton Basel-Landschaft 2016 das Schoren-Areal in Arlesheim als eines der Fokus-Areale der kantonalen Wirtschaftsoffensive bestimmt habe, sagt Elias. «Gerade die Behörde sollte mit dem Thema Planungssicherheit vorbildlich umgehen.»

 

Das im Behördenprojekt beklagte Konfliktpotenzial zwischen kantonalem Radweg und Naherholungsspazierweg entlang der Birs könnte durch einfachere Massnahmen gelöst werden, so Elias. Und das würde auch nur ein Bruchteil des projektierten Bedarfs an Steuergeldern kosten. Grundsätzlich sei man dem Projekt Kantonsstrasse nicht abgeneigt, erklärt Elias, allerdings müssten die Interessen der Firma und die Sicherung der Zukunft der Unternehmung sowie der betroffenen Arbeitsplätze gewahrt werden.

 

Der Kanton wird das Projekt wohl nochmals überarbeiten müssen.

 

Bild: Die Kantonsstrasse soll verlegt und die Talstrasse ausgebaut werden. Mit einem Projekt von knapp 40 Mio. Franken verspricht die Bau- und Umweltschutzdirektion Basel-Landschaft eine Verkehrsentlastung und eine bessere Anbindung der Gewerbe- und Industriezone. Grafik: BUD BL

 

Aus dem Standpunkt vom 7. Juni.

Fr. 7. Juni 2024